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Unterwegs wurde uns klar, wie wenig wir von der spanischen
Geschichte wussten. |
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Kathedrale in
Santiago de Compostela |
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"Veniant omnes
gentes"
Die europäische
Santiago-Wallfahrt
vor dem Hintergrund der
spanischen Geschichte bis zur Neuzeit
Historischer Überblick von Merete Nielsen
Im Heiligen
Jahr 1999 wanderten mein Mann und ich von St.
Jean-Pied-de-Port bis nach Santiago de Compostela.
Unterwegs wurde uns klar, wie wenig wir von der
spanischen Geschichte wussten. Die folgenden Seiten sind
ein Pilgergeschenk: ein Versuch, die Santiago-Wallfahrt
vor dem Hintergrund der spanischen Geschichte zu
verstehen. Es kann natürlich nicht davon die Rede sein,
die ganze spanische Geschichte des Mittelalters auf
sechs Seiten zu reduzieren, sondern es soll der Versuch
unternommen werden, anderen Pilgern eine kurzgefasste,
übersichtliche Einführung an die Hand zu geben. Deshalb
sind nur geschichtliche Begebenheiten, die die Wallfahrt
erklären können oder die für die Wallfahrt von Bedeutung
sind, erwähnt. Sie wurden zusammengestellt nach dem
Gesichtspunkt, was dem Pilger oder der Pilgerin
unterwegs begegnet oder was für ihn oder sie zu wissen
von Interesse sein könnte.
Ich habe versucht, nicht nur schematisch Fakten zu
nennen, sondern, soweit es mir möglich war,
Zusammenhänge und Bedeutung der Ereignisse zu erklären.
Zu oft wird in den gängigen Pilgerführern die Wallfahrt
als Einzelphänomen geschildert, gleichzeitig werden
jedoch Begriffe wie westgotisch praktisch unerklärt
verwendet. Dafür soll hier Abhilfe geschaffen werden.
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Von den Kelten bis zu den Westgoten
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Keltenkrieger
- Bild von
Peter Conolly |
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500-300
v. Chr.: Die Kelten ziehen durch Europa. In Galizien sind
noch Spuren ihrer Kultur erhalten.
Ca. 200 v. Chr.: Im 2. punischen Krieg vertreiben die Römer
die Karthager von der iberischen Halbinsel und bezwingen in der
Folgezeit die einheimischen Kelto-Iberer.
Unter Kaiser Augustus (27v.Chr.-14n.Chr.) bezwingen die Römer
die kriegerischen Asturen (Astorga), um Bergbau in Bierzo zu
treiben. León war der Lagerplatz ("castra") der 7. Legion, gegründet
vor dem Jahr 69 n. Chr. In León wie in Astorga kann man noch die
römischen Stadtmauern sehen.
Ein Erbe der Römer in Spanien war ihr Strassennetz. Es war so gut
gebaut, dass die Römerstrassen bis zum 19. Jahrhundert immer
noch vom Verkehr genutzt wurden. Der "camino francés" ist identisch
mit der Römerstrasse von den Pyrenäenübergängen bis Lugo. Der
Pilgerweg von Sevilla nach Astorga ist identisch mit der alten
römischen Silberstraße. Auch die französischen Pilgerstrassen
folgten weitgehend dem römischen Straßennetz. Die Pilger benutzten
einfach die schon vorhandenen Wege und Brücken.
In der Römerzeit wurde das Christentum von Soldaten und Kaufleuten
nach Spanien gebracht.
In der Völkerwanderungszeit (ca.400-700 n.Chr.) drangen Vandalen,
Sueben (Niederlassung in Galizien) und schließlich Westgoten
in Spanien ein. Die Westgoten kamen ursprünglich aus der
Gegend um das Schwarze Meer. Von den Hunnen vertrieben, wanderten
sie durch den Balkan und nahmen dort die arianische Lehre an, nach
welcher Christus zwar ein vollkommener Mensch, aber nicht Gott war.
Die Arianer leugneten also die katholische Trinitätslehre. Nach
einem Zwischenaufenthalt in Südwestfrankreich ließen sie sich um 500
in Spanien nieder, wo sie eine kleine germanische Oberklasse
bildeten. 589 nahmen sie offiziell den katholischen Glauben ihrer
Untertanen an. |
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Vom Bischof Isidor bis zu den Arabern
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Der hl. Isidor von Sevilla |
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Bischof
Isidor von Sevilla (ca.560-633) war der große Kirchenlehrer
und Organisator der katholischen Kirche Spaniens. Sowohl die
besondere spanische Liturgie wie auch das Mönchswesen wurde von ihm
geregelt und entwickelte sich daher anders als im übrigen Europa
(siehe unten). Er vermittelte in seinem Hauptwerk "Etymologiae"
das spätantike Erbe des christlichen Rom; diese Etymologien wurden
praktisch das Standardlexikon des Mittelalters. Ferdinand I. (König
von Asturien, León und Kastilien 1037-65) brachte seine Überreste
nach León, wo die Kirche San Isidor mit der Grabkapelle der
leonesischen Könige zu sehen ist.
Das Erbe der Westgoten war 1. eine andere Zeitrechnung
in Spanien (38 Jahre Unterschied zum Julianisch-Gregorianischen
Kalender) 2. eine andere Schrift: die karolingische Schrift
wurde im Frankenreich verwendet, die westgotische in Spanien, und 3.
eine andere Liturgie: die westgotische oder
mozarabische Liturgie, auf Isidor von Sevilla zurückgehend, wurde
1080 von Alfons VI. (1065-1109) auf Drängen des Papstes Gregor VII.
aufgegeben und die römisch-lateinische Liturgie in Spanien
eingeführt. Nur die Christen in den muslimischen Gebieten, die
sogenannten Mozaraber, behielten die alte westgotische Liturgie,
weshalb sie auch die mozarabische genannt wurde. Die christlichen
Könige leiteten ihren Herrschaftsanspruch über ganz Spanien von
ihren gotischen Vorfahren ab. Sie sahen es als ihr guten Recht an,
die Mauren aus ihrem Land wieder zu vertreiben.
622 flüchtete Muhammad nach Medina. Dieses Jahr gilt als das Jahr 1
der muslimischen Zeitrechnung und somit als Gründungsjahr des Islam.
638 eroberten die Araber Jerusalem, erlaubten jedoch den Christen
die Wallfahrt zum Grab Christi. |
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.... bis Karl dem Großen
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Kaiserkrönung - Karl der Große |
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711-14
gelang es den Arabern, Spanien zu erobern. 732 wurden sie in der
Schlacht bei Poitiers in Frankreich von Karl Martell geschlagen, 759
aus den Gebieten von Narbonne und Barcelona vertrieben.
In Spanien existierten noch christliche Reiche hinter den
kantabrischen Bergen in Asturien/Galizien (mit der Hauptstadt
Oviedo), ausserdem in den Pyrenäen in Navarra
(Königreich von ca. 800-1512) und in den Grafschaften Aragón
und Barcelona. Die Grenzen dieser Reiche waren während des
ganzen Mittelalters fliessend, weil 1. die Herrscherhäuser durch
geschickte Heiratspolitik, Erbteilungen und gelegentliche
Ermordungen ständig die Grenzen untereinander neu zogen und 2.
besonders die Königreiche León-Kastilien und Aragón die
Wiedereroberung der südlichen Gebiete vorantrieben.
756-1031: Das Emirat/Kalifat in Córdoba umfasste Spanien
südlich des Duero und der Pyrenäen. In Südspanien entwickelte sich
eine Hochkultur. Die Mauren waren auf Gebieten wie Landwirtschaft,
Handwerk, Architektur und Bildung den Christen weit überlegen.
778 belagerte Karl der Große ohne Erfolg die muslimische
Stadt Zaragoza. Wegen der Nachricht vom Sachsenaufstand brach er die
Belagerung ab, auf dem Rückzug plünderte er aber das christliche
Pamplona. Die Basken verfolgten seine Nachhut und vernichteten sie
bei Roncesvalles. Dieses Ereignis wurde im 11. Jahrhundert im
berühmten Rolandslied zu einem großen Heldenepos hochstilisiert. |
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Die nächsten 200 Jahre
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Der
heilige Jakob mit zwei Schülern im Grab
Altarbild der Hauptkapelle in Santiago de Compostela |
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Um 820-30 wurde das Grab des Jakobus
in Compostela entdeckt. Ausgrabungen unter der Kathedrale fanden
einen Friedhof aus spätrömischer Zeit mit einem christlichen
Grabeskult vor. Daher der Name Compostela = "kleiner Friedhof" (und
nicht Campus Stellae = Sternenfeld, wie so oft behauptet wird).
König Alfonso II. (791-842) baute die erste Kirche und ein Kloster
für den Kult des Apostels. Die asturischen Könige statteten nicht
nur ihre Hauptstadt Oviedo mit Reliquien aus, sondern förderten auch
nach Kräften den Jakobuskult in Compostela. Ein Apostelgrab auf
eigenem Boden in Galizien gab dem asturischen Königreich
Legitimation und internationales Ansehen. Man darf nicht vergessen,
wie weit Asturien von dem übrigen Europa entfernt war.
Im 9.-10. Jahrhundert besiedelten die Christen das Niemandsland
zwischen den Bergen und dem Duero. Die verwüsteten Städte León und
Astorga wurden wieder aufgebaut, und in Kastilien wurde Burgos
gegründet. Christen aus den muslimischen Ländern (die sogenannten
Mozaraber) zogen nach Norden, richteten sich in den menschenleeren
Städten ein, bauten Kirchen und Klöster und brachten neue
landwirtschaftliche Techniken (Bewässerungstechniken, Mühlenbau) aus
dem Süden mit. Aus dem ersten christlichen asturischen Königreich
wurde jetzt das Königreich León nach der Hauptstadt benannt.
Diese Besiedlung ließ eine gewisse Infrastruktur entlang der alten
Römerstrasse, der Hauptverkehrsader Nordspaniens, entstehen. Ohne
Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeit ist Pilgerschaft im großen
Stil nicht möglich. Die ersten uns bekannten Pilger aus Frankreich
und dem sonstigen Europa trafen in dieser Zeit in Compostela ein.
Noch im 10. Jahrhundert erhob das Kalifat in Córdoba
Herrschaftsansprüche im Norden. Ohne das Land besiedeln zu können
(oder zu wollen) unternahm der Machthaber, General Almanzor,
regelmäßig Feldzüge nach Nordspanien. León und Sahagún wurden 988
und Santiago de Compostela 997 von ihm geplündert und
niedergebrannt. Zu dieser Zeit war Compostela in der muslimischen
Welt schon als Pilgerziel bekannt. Almanzor ließ die Glocken der
Kirche von christlichen Gefangenen nach Córdoba tragen. Die
Reliquien des Jakobus blieben allerdings erhalten, und die Kirche,
die im neunten Jahrhundert schon einmal vergrößert worden war, wurde
nach dem Brand wieder aufgebaut.
Sancho der Große (el Mayor) von Navarra,
1000-1035, suchte den Kontakt zu Frankreich. Er ließ die
Benediktiner aus Cluny - die größte und einflussreichste
Mönchskongregation der damaligen Zeit - die Königsklöster San Juan
de la Peña und San Salvador de Leyre reformieren. Seine Gemahlin
Doña Mayor ließ sowohl die Pilgerbrücke Puente la Reina wie
das Kloster San Martín mit der romanischen Kirche in Frómista
erbauen.
1031 zerfiel das Kalifat in Cordóba in muslimische Kleinstaaten,
die sogenannten Taifa-Reiche. In dieser Zeit wuchsen die
christlichen Königreiche über ihre früheren Grenzen hinaus. Aus dem
Königreich León wurde das Königreich León-Kastilien, das
zusammen mit den Königreichen Navarra und Aragón in der Lage war,
Schutzgeld von den
Taifareichen zu erpressen. Sowohl das Kalifat wie auch die
Nachfolgerstaaten waren aus christlicher Sicht unermesslich reich.
Die christlichen Könige verwendeten diesen Reichtum teils für
Kriegsführung gegen die Mauren, teils für sehr reiche Schenkungen an
das Kloster Cluny in Burgund. Cluniazensische Klöster entlang des
Jakobsweges (Nájera, San Zoilo in Carrión und Sahagún, um einige
wichtige zu nennen) hatten natürlich als Aufgabe, für die Pilger zu
sorgen. Vor allem aber war Cluny ein geistiges und spirituelles
Zentrum der Christenheit. Die Mönche widmeten sich der Liturgie und
Fürbitten für Fürsten. Der Orden war keinem weltlichen Machthaber
verpflichtet, sondern direkt dem Papst untertan. Cluniazensische
Mönche wurden nach Spanien geholt um 1. die Einführung der
römisch-katholischen Liturgie voranzutreiben, 2. die Verbindung zum
Papst zu fördern und 3. die Bischofsämter in den neueroberten
Gebieten zu übernehmen. Mit anderen Worten, die spanische Kirche
wurde von Cluny reorganisiert und in Europa eingegliedert. |
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Der Pilgerweg
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Heutiger Pilgerweg kurz vor Hontanas |
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Die
internationale Pilgerbewegung entlang des "camino" trug ganz
wesentlich zur Besiedlung Nordspaniens bei. Die beginnende
Wiedereroberung ("Reconquista") Spaniens musste gefolgt werden
von einer Wiederbesiedlung ("Repoblación"), sonst hätte eine
Eroberung von neuen Gebiete keinen Sinn gehabt. Mit den
Pilgerströmen entstanden entlang des Weges die "Villafrancas" als
freie Städte oder Frankensiedlungen. Die fränkischen Handwerker,
Baumeister und Kaufleute genossen Privilegien. Das galt übrigens
auch für die Juden. Die Bevölkerungspolitik der Könige war sehr
liberal, und Siedler waren immer willkommen.
Der Pilgerweg brachte nicht nur Geld und Einwanderer
nach Nordspanien. Romanische und gotische Kirchenbauten
von großer Schönheit wurden errichtet. Wegen der Menge der
Pilger entstand eine besondere Kirchenarchitektur entlang der
französischen und spanischen Wege, gekennzeichnet durch
Seitenschiffe und einen Rundgang um den Chor mit seinen
Apsidialkapellen, damit die Scharen der Pilger sich besser durch den
Kirchenraum bewegen konnten. Beispiele für eine solche
Kirchenarchitektur sind die Kathedralen von Tours und Limoges (beide
abgerissen), Conques, Toulouse und natürlich vor allem Compostela.
Besonders die Ritter, die nach Santiago pilgerten, verbanden die
Pilgerfahrt häufig mit einem Kreuzzug. Nachdem Alfonso VI das
Land südlich des Duero bis zum Tajo und vor allem die alte
westgotische Hauptstadt Toledo erobert hatte, riefen die
Taifastaaten die fundamentalistischen, kriegerischen Berberstämme
zur Hilfe. Zweimal, im 11. und 12. Jahrhundert jeweils, verhinderten
Berberinvasionen die Reconquista. Die Christen ihrerseits wurden
militanter. Die Türken hatten 1055 Jerusalem den Arabern entrissen
und 1071 den byzantinischen Kaiser geschlagen. Dieser wandte sich
mit Bitte um Hilfe an Papst Urban II., und damit war der Anlass zum
ersten Kreuzzug (1096-99) gegeben. Auch die Rückeroberung Spaniens
von den Mauren galt jetzt als Kreuzzug. |
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Santiago der Matamoros
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Darstellung an der Santiago-Kirche in Logroño |
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Der
Apostel Jakobus gewann im 12. Jahrhundert langsam die Züge eines
Ritters und wurde als Maurentöter dargestellt ("Santiago
Matamoros"). Die bildliche Darstellung des Apostels zeigt eine
gewisse Wandlung in seiner Verehrung: Während die ältesten
Darstellungen ihn als Apostel auf traditionelle Art, und dann später
als Pilger zeigten, wurde er im 12. Jahrhundert zunehmend als
Kreuzritter und Maurentöter dargestellt. Nicht wenige Abbildungen
von ihm in dieser Rolle stammen aus dem 16. Jahrhundert und zielen
vermutlich nicht länger auf die besiegten Mauren, sondern eher auf
den Sieg über die Einwohner der Neuen Welt.
1075-1211 wurde die romanische Kathedrale in Santiago de
Compostela gebaut. Es war die vierte erweiterte Basilika über
dem Apostelgrab. Das Ausmaß des Kirchenbaus ist Hinweis auf den
Bedarf, großen Mengen von Pilgern Platz bieten zu können. Die
Errichtung der Kathedrale war vor allem das Lebenswerk des
ehrgeizigen Bischofs Diego Gelmirez, der den Kult des Apostels
entschieden förderte.
1095 wurde Santiago Bischofssitz, 1120 Erzbischofssitz,
und der Erzbischof Diego Gelmirez wurde zum päpstlichen Legaten
ernannt.
In den Jahren von 1080 bis 1140 entstand das Buch von Sankt
Jakobus, Liber Sancti Jacobi. Als Codex Calixtinus
wurde es als Schatz in Compostela aufbewahrt. Dieses Buch bildete
die Grundlage der Jakobus-Verehrung und ist immer noch die
meistbenutzte Quelle für unser Wissen über die mittelalterliche
Pilgerfahrt. Das erste Buch enthält Liturgie und Hymnen für die
Jakobusverehrung und eine Predigt, die das Pilgerwesen in Compostela
schildert. Im zweiten Buch sind die Wundertaten des Jakobus
aufgeschrieben und im dritten findet man zwei Versionen der Legende
von der Ankunft des Apostels in Galizien. Im vierten Buch findet man
eine gänzlich unhistorische Beschreibung von Karl dem Grossen als
Jakobusverehrer und Kreuzritter. In einem Traum sieht Karl der
Grosse den Jakobsweg als einen "Sternenweg". Der Kampf Rolands gegen
den Riesen Ferragut, der so oft entlang des Weges bildlich
dargestellt wurde, und die Schlacht von Roncesvalles sind hier zu
lesen. Das fünfte Buch enthält den "Pilgerführer", den ältesten
Reiseführer Europas.
Nicht nur die Benediktiner, sondern auch später entstandene
Mönchsorden wie die Augustiner und Antoniter sowie die
Ritterorden (Tempelherren und Johanniter) bauten Hospize und
Pilgereinrichtungen entlang des Weges. Hospitäler kümmerten sich um
kranke Pilger, und für die Verstorbenen entstanden Friedhöfe. Es
sollte vielleicht erwähnt werden, dass der Santiago-Ritterorden
nur sehr bedingt mit der Santiago-Pilgerfahrt zusammenhängt. Nach
der Eroberung der Stadt Cáceres wurde dieser Ritterorden von König
Ferdinand II. im Jahr 1170 gegründet. Der Erzbischof von Santiago
überreichte dem Orden eine Fahne mit dem Abbild des Jakobus und trat
selbst als Ehrenmitglied in den Orden ein. Dieser Orden nahm
zusammen mit anderen spanischen und internationalen Ritterorden an
der Wiedereroberung Andalusiens eifrig teil.
Zwar kämpften Christen und Mauren um Spanien, aber eine gewisse
Toleranz war im frühen und hohen Mittelalter immer noch zu spüren.
Spanien war ein Land mit drei Religionen, was sich auf allen
Gebieten als sehr fruchtbar für die Kultur erwies. Hauptsächlich im
12. und 13. Jahrhundert fand ein reger intellektueller Austausch
statt, indem Gelehrte aus Europa nördlich der Pyrenäen zusammen mit
muslimischen, jüdischen und mozarabischen Gelehrten das
kulturelle Erbe des antiken Griechenlands und des Islam in
Übersetzungen weitergaben. Die Spannbreite dieser Übersetzungen
reichte von landwirtschaftlichen Handbüchern über Fächer wie
Astronomie und Mathematik (Einführung der indisch/arabischen Zahlen
inklusive der Null), Philosophie (Aristoteles), Medizin (Avicenna)
und Theologie (der Koran, auf Bestellung des Abtes von Cluny). Vor
allem in Toledo wurde vom Arabischen ins Hebräische und wiederum vom
Hebräischen ins Spanische und Lateinische übersetzt. Diese
fruchtbare Zusammenarbeit eröffnete ungeahnte Möglichkeiten für die
europäische Wissenschaft im Mittelalter und in der Neuzeit. |
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allmählich der Zustrom zurück
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Bis zum heutigen Tag zieht er die Pilger
magisch an. |
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Um 1150
wurde Portugal zu einem selbständigen Königreich. Zur selben
Zeit vereinigten sich Aragón und Barcelona. Katalonien, die Krone
von Aragón, wurde eine mediterrane Großmacht.
Im späten Mittelalter verminderte sich allmählich der
Zustrom zum Apostelgrab. Dafür gab es mehrere Gründe; hier seien
nur einige Überlegungen angeführt.
Im frühen Mittelalter wurden in einer Gegend diejenigen als Heilige
verehrt, die dort missioniert oder für ihren Glauben das Martyrium
erlitten hatten. Während Rom und Santiago de Compostela
Apostelgräber besaßen, waren die lokalen Heiligen sonst oft
Aposteljünger. Mit anderen Worten, man versuchte, durch die Heiligen
eine direkte Verbindung zwischen den Jüngern Christi, die den
Missionsbefehl erhalten hatten, und den Regionen Europas
herzustellen. Dagegen wurden im Spätmittelalter vermehrt
überregionale Heilige und vor allem die Mutter Gottes verehrt.
Während der Pilgerführer im Codex Calixtinus noch den Pilgern
empfahl, die Schreine der örtlichen Heiligen auf dem Weg
aufzusuchen, gerieten diese Missionare und Märtyrer zunehmend in
Vergessenheit. Die "Cantigas de Santa Maria" von Alfons X dem Weisen
(1252-84) zeigen sozusagen die "Zusammenarbeit" zwischen Maria und
Jakobus. Die Wunder, die früher von Jakobus allein erzählt wurden,
wurden in den "Cantigas" Maria zugeschrieben. Später, im 14. und 15.
Jahrhundert, überflügelte die Wallfahrt nach Santa Maria in
Guadelupe die Santiago-Wallfahrt. Der Nürnberger Patrizier Georg
Tetzel, der 1465-67 einen böhmischen Ritter auf dessen Reise durch
Europa begleitete, war weit mehr von Guadelupe als von Santiago de
Compostela beeindruckt.
Erschwerend für die internationale Wallfahrt
wurde außerdem 1. der Hundertjährige Krieg in Frankreich
(1339-1453), 2. die Pest wegen der Ansteckungsgefahr
und Hungersnöte, die die Armen auf die Straßen trieben und 3. der
Brauch, vielen Verbrechern eine Strafwallfahrt als Sühne für
ihr Vergehen anzuordnen. Wichtig ist auch die zunehmende
Intoleranz der christlichen Gesellschaft, die schließlich in einer
Abgrenzung Spaniens gegen Ausländer und Andersgläubige endete:
1. Die Einführung der Inquisition 1478, 2. die Vertreibung der Juden
1492 und 3. 1502 die Vertreibung der letzten Mauren. Letztere
erhielten die Wahl zwischen Auswanderung oder Bekehrung, was den
Juden nicht vergönnt war. Die Inquisition suchte unter den
konvertierten Juden eifrig nach Ketzern. Dennoch brach die Wallfahrt
nie gänzlich ab.
1479 vereinigten sich die Königreiche Kastilien und Aragonien unter
den katholischen Monarchen Isabella und Ferdinand. 1492 fiel das
letzte muslimische Reich, Granada. Im selben Jahr entdeckte Kolumbus
Amerika. Das Verlangen nach den unermesslichen Schätzen der Heiden
setzte sich in der Neuen Welt fort. Dieser Reichtum machte Spanien
zu einer Großmacht. |
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Dieser Historischer Überblick von
Merete Nielsen, erschienen im STERNENWEG Nr. 30, wurde uns
freundlicherweise von der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft e.V. in
Aachen zur Verfügung gestellt. | |